Lodzermenschen in Braunschweig

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Viele Braunschweiger, die am letzten Maitag im Park neben dem Stadttheater spazieren gingen, rieben sich ungläubig die Augen. Auf einer grünen Lichtung gießt ein Dienstmädchen in einem langen schwarzen Kleid und weißer Schürze Tee aus einem Samowar des 19. Jahrhunderts in eine Fayence-Tasse und reicht ihn einer Dame im Turban, die auf einem Stuhl sitzt. Nach einem Moment kommt ein Herr im Frack und Zylinder mit einem Stock in der Hand auf sie zu, beugt sich vor, küsst sanft die Hand der Dame und flüstert ihr dann etwas ins Ohr. In der Nähe ist das Lachen der amüsierten Gesellschaft zu hören. Die Blicke richten sich auf den Strohhut einer der Frauen, der mit wunderschönen Blumen geschmückt ist. Plötzlich knallen die Sektkorken, die Gäste greifen nach Kaviarhäppchen: Es sind Fabrikanten aus dem Lodz des 19. Jahrhunderts, die ihren in Braunschweig lebenden Cousin besuchen und sich auf Decken am Braunschweiger Okerufer ausbreiten.

Der überwiegend von Polen gegründete Braunschweiger Verein V.I.P. e.V. hat sich vorgenommen, den Deutschen die Geschichte einer der größten polnischen Städte näher zu bringen, zu deren Entwicklung auch ihre Landsleute beigetragen haben. Heute kennt sie in Deutschland kaum noch jemand. Spricht ein Deutscher von Łódź, so denkt er meist zuerst an das Lied „Theo, wir fahren nach Lodz“, manche sagen etwas von „Litzmannstadt“ (leider aus einem unerfreulichen Kapitel unserer gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte), und das war's dann auch schon, wenn man von Łódź spricht.

V.I.P. e.V. beschloss daher, im Bereich der Geschichtsvermittlung tätig zu werden, aber nicht durch Vorträge und Präsentationen, sondern durch lebendige Geschichte. Projektpartner war eine historische Rekonstruktionsgruppe aus Łódź mit dem anmutigen Namen „Gelobtes Land“. Im Rahmen der Veranstaltung wurde eine Ausstellung mit Informationen über die Geschichte von Łódź an nahe gelegenen Bäumen aufgehängt. Außerdem konnte man sich einen Film ansehen, der das heutige Bild des Ortes aus der Perspektive eines Passanten zeigte. Die ankommenden Gäste waren eingeladen, sich mit den Braunschweiger Fabrikbesitzern zu entspannen. Der Tee wurde aus einem kegelbefeuerten Samowar aus dem 19. Jahrhundert serviert. Dazu gab es einen Kuchen, der nach einem Rezept aus jener Zeit gebacken wurde. Dabei wurde auch auf die kleinsten Details wie Geschirr und Besteck aus der damaligen Zeit geachtet, darunter auch solche Kleinigkeiten wie eine originale Schere zum Schneiden von Weintrauben aus der zweiten Hälfte des 19. Der Leiter der historischen Rekonstruktionsgruppe „Promised Land“, Juliusz Zieliński, führte eine historische Modenschau vor, während die zweite Vorsitzende des V.I.P. Jana Pospeschill, eine ausgebildete Opernsängerin, die Gäste mit Liedern aus der Zeit der industriellen Entwicklung von Lodz unterhielt. Begleitet wurde sie von Benek Frąckiewicz von der Band Benrose. Róża Frąckiewicz, die letztjährige Finalistin des Programms Voice of Senior, gab ebenfalls einen kurzen Auftritt, der das Publikum begeisterte.

Anschließend spielte die versammelte Gesellschaft typische Picknickspiele aus der Zeit, als die Fabrikbesitzer von Lodz Erholung in der Natur suchten. Während des gesamten Nachmittags wurden die Gespräche von Anekdoten über die Stadt aus verschiedenen Epochen ihres Bestehens beherrscht.

Die Organisatoren halten es für einen großen Erfolg, dass nicht nur Polen und Deutsche an dem Picknick teilnahmen, sondern auch Vertreter aus weiter entfernten Ländern wie Syrien, Ägypten und Mexiko. Es kamen auch Besucher aus Städten, die 3-4 Autostunden von Braunschweig entfernt sind. Jeder Spaziergänger im Park, der sich spontan dem Spaß anschloss, wurde herzlich begrüßt. An diesem Tag in Braunschweig konnte jeder für eine Weile zum „Lodzermensch“ werden.

Die Veranstaltung wurde dank der Unterstützung des polnischen Außenministeriums in Zusammenarbeit mit dem polnischen Generalkonsulat ermöglicht.

Zofia Delest

Foto: Hellllove

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