Seit dem ersten März 2023 habe ich die Ehre, die Polonia-Geschäftsstelle in Berlin zu leiten. Ich möchte mich kurz bei Ihnen vorstellen und die polnische Gemeinschaft in Deutschland herzlich zur Zusammenarbeit einladen.
Die Geschäftsstelle der Polonia ist im Jahr 2011 auf der Grundlage eines bilateralen Abkommens zwischen der polnischen und der deutschen Regierung sowie der polnischen Gemeinschaft in Deutschland und der deutschen Minderheit in Polen („runder Tisch“) entstanden. Mit ihrer Verwaltung wurde der Konvent der polnischen Organisationen betraut. Seine Hauptaufgabe ist die Vertretung der Interessen der polnischen Organisationen in Deutschland. Zu den Aufgaben der Geschäftsstelle Polonia gehört es, die Aktivitäten der polnischen Diaspora zu koordinieren, Vereine, Organisationen und informelle Gruppen zu unterstützen, die Bedürfnisse der polnischen Gemeinschaft zu formulieren und gemeinsame Positionen gegenüber der deutschen und polnischen Behörden und Institutionen zu vertreten, die „Polonia“ mit verlässlichen Informationen zu versorgen und ein positives Bild von Polen in Deutschland und in der Europäischen Union zu prägen. Die Aufgaben und Ziele der Geschäftsstelle sind dynamisch und entwickeln sich ständig weiter.
Ich danke dem Konvent der polnischen Organisationen in Deutschland für das Vertrauen und hoffe, dass ich die Bedürfnisse und Erwartungen der Polonia, zu der ich seit vielen Jahren gehöre, erfüllen kann. Ich bin im Jahr 1983, in der Zeit des Eisernen Vorhangs, im Alter von knapp 20 Jahren nach Deutschland (konkret ins Ruhrgebiet) ausgewandert. Ich habe meine Familie und meine Freunde zurückgelassen, die ich in den ersten Jahren meines neuen Lebens sehr vermisst habe.
Den Kontakt zur polnischen Kultur habe ich jedoch nie verloren - im Gegenteil, ich habe ihn sehr gepflegt, habe an der Ruhr-Universität Bochum Polonistik studiert und später am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an polnischen Universitäten (als so genannte Grenzgängerin) gelehrt. Meiner inzwischen erwachsenen Tochter habe ich die polnische Sprache beigebracht, obwohl in den 1980er und 1990er Jahren viele Aussiedler dies nicht taten, weil sie fälschlicherweise annahmen, dass sich ihre Kinder dadurch besser in die deutsche Gesellschaft integrieren würden.
Auf meinem persönlichen und beruflichen Weg, der mich in die Wissenschaft, in die Medien und zum Schreiben von Büchern geführt hat, bin ich auf viel Freundlichkeit und Unterstützung gestoßen, aber auch von Diskriminierungserfahrungen nicht verschont geblieben. Diese haben mich Empathie gegenüber all jenen gelehrt, die von der Mehrheitsgesellschaft manchmal mit Überlegenheit behandelt werden. Wichtige Aspekte meiner Forschungs- und Lehrtätigkeit sind interkulturelle Kommunikation und Literatur von Migrantinnen und Migranten.
Obwohl ich zur so genannten "alten Emigration" gehöre, für die die Ausreise in den Westen bedeutete, zumindest für einige Jahre nicht nach Polen zurückkehren zu dürfen (für viele von ihnen war es eine traumatische Erfahrung), habe ich unter anderem dank meiner Tochter viel Empathie für die so genannte zweite Generation von Migranten und Migrantinnen entwickelt, die bereits in Deutschland geboren oder als Kinder nach Deutschland "gebracht" wurden. Die Herausforderungen dieser Generation (bezüglich Identität und Sprache) liegen mir sehr am Herzen.
Seit langem pflege ich intensive Kontakte zu verschiedenen polnischen Gemeinschaften und Organisationen, unter anderem durch meine Aktivitäten beim Projekt Polnische Universität der drei Generationen, deren Gründung ich unterstützt habe, sowie im Sprachcafé Polnisch. Meine deutschen Freunde beneiden mich darum, dass ich mich in Berlin so wohl fühlen kann - nicht zuletzt wegen der intensiven Polonia-Kontakte, institutionell und freundschaftlich.
Das heißt natürlich nicht, dass sich die Polonia auf Berlin beschränkt. Die polnische Gemeinschaft in Berlin hat ihre eigenen Besonderheiten, die sich von denen in anderen Bundesländern unterscheiden. Es ist mir daran gelegen, dass sich unsere Geschäftsstelle für Polonia in ganz Deutschland einsetzt. Es wäre wünschenswert, ein Netzwerk von „Botschaftern“ der Geschäftsstelle in den einzelnen Bundesländern aufzubauen.
Eines der bedeutendsten Themen für die Polonia ist die Integration mit der deutschen Gesellschaft. Wichtig ist aber aus meiner Sicht auch, Kontakte zu anderen Migrantengemeinschaften zu pflegen und sich gegenseitig in unseren Bemühungen um einen angemessenen Platz in der Mehrheitsgesellschaft zu unterstützen. Dies ist ebenfalls ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. Ein gutes Beispiel dafür ist die Initiative von Frau Aldona Głowacka, der Vorsitzenden des Verbindungsbüros der polnischen Diaspora-Organisationen in Hannover und Niedersachsen, die sich gemeinsam mit anderen Migrantengemeinschaften für ein verstärktes Angebot an muttersprachlichem Unterricht an Schulen einsetzt.
Vorbei sind die Zeiten polnischer Minderwertigkeitskomplexe und Vorurteile gegenüber anderen Kulturen. Wir wollen die deutsche und damit europäische Gesellschaft kulturell, wirtschaftlich und politisch mitgestalten und gleichzeitig unsere eigenen Traditionen pflegen, vor allem unsere Sprache, um die sich die Geschäftsstelle weiterhin sehr intensiv kümmern wird, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Kooperationszentrum Polnisch KoKoPol in Marienthal und Forscherinnen der Mehrsprachigkeit.
Es gibt ein deutsches Sprichwort, "ohne Wurzeln keine Flügel", was so viel heißt wie "ohne Bewusstsein für die eigenen Wurzeln wird man seine Flügel nicht ausbreiten können". Ich finde das sehr überzeugend.
Ich wurde früher von dem so genannten Auswanderertraum heimgesucht. Ich sah mich mit einer deutschen Verkäuferin an der Kasse eines deutschen Supermarktes Polnisch sprechen. Erst im Nachhinein wurde mir dies (in meinem Traum) bewusst – begleitet von Gefühlen der Peinlichkeit und Scham. Viele von uns kennen diese „Migranten-Scham“, Schriftsteller und Schriftstellerinnen schreiben darüber. Ich glaube jedoch, dass die Zeiten dieser Scham vorbei sind.
Für viele von uns "älteren" Emigrantinnen und Emigranten gehörte es zum Alltag in der deutschen Gesellschaft, unsere polnische Identität zu "verstecken". Jetzt aber können und wollen wir uns zeigen – mit dem kulturellen Mehrwert, den wir in die Gesellschaft einbringen. Ein Paradebeispiel dafür sind die diesjährigen Preisträger des Polonicus-Preises in Aachen - der polnische Winzer von der Mosel, Andrzej Greszta, die polnischen Opernsänger in Köln, die Sopranistin Danuta Bernulok und der Tenor Piotr Wnukowski, oder der Vertreter in der deutschen Nationalmannschaft mit polnischem Hintergrund, der allseits beliebte Łukasz Podolski.
Es wäre schön, wenn wir uns zeigen würden - mit unseren Gesichtern, unseren Namen, unseren Biografien. Es wäre schön, zu zeigen, dass wir uns mit der Polonia identifizieren, die heterogen und bunt sein mag, aber von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt. Ich möchte polnische Organisationen, Initiativen und alle Mitglieder unserer Gemeinschaft bitten, ihre Aktivitäten in den sozialen Medien mit dem Slogan #IchbinPolonia zu unterzeichnen. Zeigen wir, wer im Jahr 2023 hinter dem Slogan #IchbinPolonia steht! Lassen Sie dieses etwas verstaubte Wort mit mehr Leben und Farbe füllen.
Mir ist es ein Anliegen, mit Ihnen persönlich in Kontakt zu bleiben und viele interessante Ideen zu verwirklichen, die uns miteinander verbinden. Das Projekt "Polonia-Frühstück" zum Beispiel wäre die Idee regelmäßiger Treffen beim Kaffee und Gebäck, z.B. jeden Monat hier in Berlin - oder bei Ihnen. Zu solchen Treffen und Gesprächen lade ich Sie heute schon ein. Unsere Zusammenarbeit wird durch einen neuen Newsletter und eine modernisierte Informationsplattform "Polonia Viva" mit aktuellen Nachrichten für die polnische Gemeinschaft und ihre deutschen Freunde bereichert. Ich möchte Sie auch jetzt schon zum nächsten dreitägigen, bereits VI. Kongress polnischer Organisationen einladen, der für Ende September in Bonn geplant ist. Darüber hinaus wird es noch in diesem Jahr Workshops zur Qualifizierung von Mitgliedern von Polonia-Organisationen geben, u.a. zu den Themen Konfliktlösung, Krisenbewältigung und deren Nutzung für die eigene Entwicklung.
Ich hoffe, bald qualifizierte Kolleginnen und Kollegen für unsere Geschäftsstelle der Polonia gewinnen zu können, und freue mich schon jetzt auf die Zusammenarbeit mit Ihnen!
Brygida Helbig
#JestemPolonią!