Weichsel gedenkt der Warschauer Aufständischen

Eine Woche des Gedenkens an den Warschauer Aufstand 44 geht in der Polens Hauptstadt zu Ende. Am 1. August feierten wir den 78. Jahrestag des Ausbruchs des Warschauer Aufstands. Der Aufstand dauerte 63 Tage, etwa 18.00 Tausend Soldaten der Heimatarmee und 180.000 Zivilisten starben dabei.

Vor dem Krieg lebten meine Großeltern am Ufer der Weichsel im kleinen Symonowicz-Palast. Während des Warschauer Aufstands kam es im Warschauer Bezirk - Powiśle zu schweren Kämpfen, und der Palast selbst wurde als Krankenhaus für die Aufständischen genutzt. Meine Großeltern flüchteten sich in den Keller des nächstgelegenen Hauses.

Mein Großvater, Wacław Adamek, starb in den ersten Tagen des Aufstandes direkt neben seinem Haus in der Solec Straße 37. Er wurde auf dem Teil des Bródno Friedhofs begraben, der für die Opfer des Warschauer Aufstandes bestimmt ist. Meine Großmutter und mein 9-jähriger Vater entkamen einem Transport in ein KZ und dank dieser Tatsache schreibe ich diesen Artikel. Nach dem Krieg kehrte meine Großmutter zusammen mit ihren Vorkriegsnachbarn "auf den alten Müll" (wie wir in Warschau zu sagen pflegten) in das zu 90 Prozent zerstörte linke Warschauer Ufer zurück. 

Mein ganzes polnisches Leben war vom Aufstand geprägt, und obendrein habe ich das Stefan-Batory-Gymnasium besucht, dessen Schüler Jan Bytnar "Rudy", Maciej Aleksy Dawidowski "Alek" und Tadeusz Zawadzki "Zośka" die Helden des Romans "Kamienie na szaniec" von Aleksander Kamiński waren. Ich war in der Pfadfindergruppe "Orangerie", zu der vor dem Krieg der Dichter und Aufständische Krzysztof Kamil Baczyński gehörte.

An unserer Schule gab es einen Gedichtwettbewerb, der nach Krzysztof Kamil Baczyński benannt war, und wir haben das Andenken an die jungen Aufständischen immer respektiert. Weder meine Großmutter noch mein Vater haben jemals über die Grausamkeiten des Krieges gesprochen. Jedes Jahr im August im Warschau erscheinen unmerklich Blumensträuße unter den Gedenktafeln für die getöteten Aufständischen. Als nach der politischen Wende in Polen die Historiker zu diskutieren begannen, ob der Warschauer Aufstand notwendig war, begann ich, Fetzen von Familiengeschichten zusammenzustellen.

Aus der Sicht der Warschauer, die im von den Nazis besetzten Warschau lebten, war der Aufstand ihr letzter Akt der Verzweiflung. Die Menschen in Warschau waren durch den langjährigen Terror so entwürdigt worden, dass sie Angst hatten, die Grenze zur Animalisierung zu überschreiten. Während der Besatzung hungerten sie so sehr, dass sie froh waren, Taubenbrühe zu kochen. Die deutschen Razzien waren so häufig, dass sie jedes Mal, wenn sie auf die Straße gingen, unmittelbar befürchten mussten, getötet oder in ein KZ deportiert zu werden. Der Aufstand war die einzige Rettung für die Menschen in Warschau, da sie an die Grenzen der Menschlichkeit stießen. Sie zogen es vor, für die Freiheit zu kämpfen oder zu sterben, solange der Albtraum der Besatzung ein Ende hatte.

Die Pläne für den Aufstand wurden im Warschauer Untergrund besprochen, bevor er begann, so dass diejenigen, die sich nicht daran beteiligen wollten, Warschau verließen. Die rechte Seite Warschaus, die so genannte Praga, hat mir nie gefallen. Ich erinnere mich, dass meine Großmutter einmal sagte: "Sie standen auf dieser Seite und sahen zu, wie wir niedergeschlagen wurden", und sie sah es direkt von ihrem Fenster aus. Ich habe meine Kindheit an der Weichsel verbracht. Genau wie meine Großmutter und mein Großvater vor dem Krieg badete ich jeden Sommer darin und baute meine ersten Sandburgen an der Weichsel.

Am 1. August 2022 fand ich mich zufällig an der Weichsel auf der Höhe des Fensters des Hauses meiner Großeltern wieder. Dutzende von Booten aller Art versammelten sich dann unter der nahe gelegenen Poniatowski-Brücke. Auf diese Weise ehrte die Weichsel, die während des Aufstands am meisten erlebt hatte, das Andenken an ihre Aufständischen. Ein junges Mädchen, das neben mir stand, senkte beschämt den Kopf. Sie hatte Tränen in den Augen nach der Schweigeminute um 17 Uhr, in der alle Warschauer aufstehen, um die Gefallenen zu ehren. Es gibt keine Familie unter den alten linken Warschauerinnen und Warschauern, in der nicht jemand beim Aufstand gestorben ist. In der Stille der heulenden Sirenen ehren wir stets das Andenken der gefallenen Aufständischen.

Ein wenig in einem halben Lächeln, so wie sie mit der Hoffnung auf einen gewonnen Kampf gegangen sind. Wenn wir heute die Lieder des Aufstands hören, die mit Freude gesungen werden, wissen wir, dass der Tod hinter ihnen steht. Und als Familien der Aufständischen wollen wir nicht, dass das Zeichen des kämpfenden Polen und die Erinnerung an den Aufstand dazu benutzt werden, Hass zu verbreiten, der zu einem neuen Krieg führt. Wanda Traczyk-Stawska drückte es sehr treffend aus: "Es ist nicht wichtig, wie die Regierungen politisch streiten, es ist wichtig, wie die Gesellschaften zusammenleben können (...)

Wenn unsere Regierung die Nation vereinen will, indem sie denkt, dass die Deutschen unser Feind sind, dann sage ich als alter Soldat, als alte Mutter und als alte Frau: Als der schlimmste Moment für uns kam, als sie das Kriegsrecht erklärten, wer hat uns da überhaupt geholfen? Die Deutschen (...) Gleichzeitig möchte ich sagen, dass nur die Deutschen in Berlin ein Gebäude bauen, in dem an alle Verbrechen während des Aufstandes erinnert werden soll, und dazu haben sie Marian Turski und mich als Berater eingeladen (...) Die Deutschen (Anm. d. Red.) "haben sich entschuldigt, sie waren auf den Knien. Jetzt sind sie gute Nachbarn" (1), fasste eine 95-jährige Teilnehmerin des Aufstandes ihre Rede zusammen.

Die diesjährigen Feierlichkeiten zum 78. Jahrestag des Warschauer Aufstands waren insofern einzigartig, als sie im Schatten des anhaltenden Krieges in der Ukraine stattfanden. Am 1. August wurde Wladimir Klitschko im Museum des Warschauer Aufstands im Namen seines Bruders Witalij, dem Bürgermeister von Kiew, die Auszeichnung "Ehrenheld von Warschau" verliehen. Die Situation der kämpfenden Ukrainer ist heute ähnlich wie die der Warschauer Aufständischen. Als in diesem Jahr um 17 Uhr in ganz Warschau die Sirenen ertönten, hatte ich den Eindruck, dass sie den Ukrainern, die allein für die Freiheit Europas kämpfen, zur Hilfe riefen.

Agata Lewandowski