Zu Besuch bei Melita Sallai im Morawa

Schülerbericht von ihrer deutsch – polnischen Begegnung in Morawa. Im Juni 2022 fand eine deutsch – polnische Jugendbegegnung in Morawa statt, welches in der Nähe von Breslau liegt. Für eine Woche wohnten die Teilnehmer im Schloss von Melitta Sallai, das als junges Mädel kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee verließ, und wohin sie nach der Wende zurückkam. Nach der Rückkehr gründete sie mit ihrer Familie eine Begegnungs- und Kindertagesstätte im Haus. Das übergeordnete Thema des Juniprogrammes hieß „Wege der Erinnerung“. Es war das fünfte Treffen der Schüler aus dem 8. Allgemeinbildenden Lyzeum in Lodz und dem Immanuel-Kant-Gymnasium in Lachendorf seit 2018.

Außer der Integrationsspiele lernten die Teilnehmer die Geschichte des Schlosses und der Umgebung kennen. Am Nationalgedenktag der Opfer in Deutschen Nazikonzentrations- und Vernichtungslagern besuchten die Jugendlichen die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Groß-Rosen und die Stollen unter dem Schloss Fürstenstein. Das Konzentrationslager Groß-Rosen wurde als Nebenlager von Sachsenhausen gegründet, 1941 wurde es zu einem selbstständigen Lager ernannt. In Jahren 1940 – 1945 wurden 125.000 Häftlinge in dieses Lager transportiert. Davon sind 40.000 verstorben.

Ein wichtiger Programmpunkt war ein Gespräch Melitta Sallai, was den Jugendlichen einige Einblicke in ihr Leben zu Kriegs- und Nachkriegszeiten ermöglicht. Unter anderem erzählte sie von ihrem Leben in Polen nach dem Krieg. „Wissen Sie, am Jüngsten Gericht fragt niemand mehr, ob wir Deutsche oder Polen sind“, so Melitta Sallai. Diese Worte zeigen, wie wichtig nicht nur Pflege der deutsch – polnischen, aber generell multikulturellen Kontakte sei.

Rückblickend war die Woche für die Jugendlichen einerseits aufschlussreich und interessant, andererseits auch emotional bewegend, was dieses nach dem Besuch im Konzentrationslager Groß – Rosen dokumentierte Gespräch von Mats, Staś, Karolina und Paweł: der am Projekt teilnehmenden Schüler am besten zeigt.

Heute besuchten wir das KZ-Lager Groß Rosen, wenige Kilometer von hier. Alle schweigen, im Hintergrund hört man die Vögel. Pawel unterbricht die Stille: „Am schockierendsten war für mich das Ende des einen Filmes, in dem erzählt wurde, wie die Soldaten der Roten Armee das KZ vorfanden. Wie sie das Leid derer sahen, welche zurückgelassen wurden und nicht mit auf den Todesmarsch in westliche Lager kommen mussten.“

Jeder Einzelne von uns denkt dasselbe, doch niemand antwortet. Wir wissen nicht, wie wir das zuvor erlebte beschreiben, in Worte fassen, sollen. Die Sprachbarriere macht das Ganze nicht unbedingt einfacher. Gerade für mich als Deutscher war der Besuch definitiv auch schambehaftet, darüber denke ich noch nach.

Schließlich pflichte ich ihm bei und erzähle, dass auch ich mir Gedanken darüber gemacht habe, wie es sein muss als Soldat plötzlich etwas Solches zu sehen.

Darauf Karolina: „Ich fand die grundsätzlichen Bedingungen im KZ am schrecklichsten. Besonders, dass drei Häftlinge in einem kleinen Einzelbett schlafen mussten und trotz der harten Arbeit nur so wenig und schlecht zu essen bekamen, ist schwer zu ertragen.“

 

Staś: „Bei der Führung meinte die Frau, dass zwei Männer selbst gemeinsam zu schwach und ausgemergelt waren, einen Stein von 50kg zu bewegen und das Ganze bei 50°C im Steinbruch.

 

Paweł: „Eigentlich glaube ich nicht an das klassische Gottes-, Himmel- und Höllenbild. Wenn es die Hölle aber tatsächlich gibt, muss sie so aussehen.“

 

Ich teile dieselben Überlegungen und steige wieder ins Gespräch ein: „Am Ende waren die SS-Männer, die Führer und Leiter des KZ, für dieses Leid verantwortlich. In der ersten Ausstellung konnte man die Geburtsdaten der SS-Männer sehen und viele wurden in den frühen 20ern geboren, sie waren also zu ihrer Zeit im KZ Verwaltungsstab nur 2/3 Jahre älter als wir jetzt sind. Wie kann jemand, der vermutlich sogar normal aufgewachsen ist, so werden?“

 

Staś: „Das wird wahrscheinlich für immer ein Rätsel bleiben… Die Grausamkeit und Tyrannei war einfach grenzenlos, alleine, dass Häftlinge Galgen bauen, Hinrichtungen anderen Häftlinge vorbereiten und durchführen mussten sagt schon alles.“

Ich: Ja, gerade auch die Berichte der Zeitzeugen über den alltäglichen und menschenverachtenden Machtmissbrauch der SS-Männer sind schwer zu begreifen, so zum Beispiel das Erschießen von Häftlingen in der Pause oder beim Rauchen.

Karolina: Das ist es. Einmal war ich in Auschwitz und dort wurden die Deportierten teilweise sogar unmittelbar nach ihrer Ankunft in Gaskammern ermordet.

Paweł: Ich wohne direkt am Bahnhof Radegast, über den damals viele Häftlinge in die Konzentrations- und Arbeitslager rund um Lodz transportiert wurden. Da gibt es auch eine Gedenkstätte, an der ich oft war.

Ich erzähle ihnen, dass unsere Schule unweit des KZ Bergen-Belsen liegt und der Besuch dessen verpflichtend mit der Klasse stattfindet.

Das Gespräch verlagert sich darauf, inwiefern diese Besuche wichtig sind. Wir sind uns einig, dass insbesondere für Menschen wie uns, die durch ihre Nationalität eng mit dem Thema verbunden sind, der Besuch einer solchen Gedenkstätte von hoher Wichtigkeit ist. Auch wenn es schwierig und unangenehm ist und die Auseinandersetzung mit diesem Thema viel Reflexion erfordert.

Ermöglicht wurde diese Jugendbegegnung durch Melitta Sallai und die Hedwig-Stiftung, die Förderung des Projektes erfolgte durch das „Deutsch-Polnische Jugendwerk“ und die Sanddorf Stiftung.

Autoren:

Schüler des IMK-Gymnasiums in Lachendorf und des 8. Allgemeinbildenden Lyzeum in Lodz

Lena Badzio, Lilith Hahn, Jan Cywiński, Hanna Borkowska, Karolina Kłąb, Mats Trumman, Stanisław Juraszczyk, Paweł Dębski

Unter Leitung von Katarzyna Moser