Die "polnische Mutter" in Deutschland

Ich blättere in der aktuellen Ausgabe 2018 des Lexikons "Polnische Spuren in Deutschland". Ungeduldig suche ich nach berühmten Polinnen in Deutschland. Ich finde, in chronologischer Reihenfolge, Biografien von Rycheza, der Ehefrau von Mieszko II., einer polnischen Königin rheinischer Herkunft, von Pola Negri, die ohne ihre Rollen in deutschen Filmen in Amerika nie berühmt geworden wäre, und von Rosa Luxemburg, einer Revolutionärin und Theoretikerin der deutschen Sozialdemokratie. Meine deutsch-polnische Lieblingsschauspielerin Barbara Kwiatkowska wird nur kurz erwähnt. Ich freue mich, wenn ich ein paar außergewöhnliche Zeitgenossinnen finde, die polnische Frauen in Deutschland repräsentieren. Katarina Niewiedzial ist die Bevollmächtigte der Berliner Landesregierung für Integration und Migration. Katarzyna Mol-Wolf ist Chefredakteurin des Monatsmagazins "emotion" und Mitglied des Aufsichtsrates der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Brygida Helbig beschäftigt sich als deutsch-polnische Schriftstellerin mit dem Thema der Emigration, ihr Roman "Niebko" erreichte das Finale des NIKE-Preises. Wenn ich den Anteil der Biografien berühmter polnischer Frauen in Deutschland im Verhältnis zu den berühmten Polen einschätzen würde, wäre er leider verschwindend gering und läge bei vielleicht 25 Prozent.

Das liegt wahrscheinlich daran, dass Frauen im Exil doppelt belastet sind - zunächst durch Sprachbarrieren und dann durch die viel größere Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt als im Herkunftsland. Wenn sie eine Familie gründen und Kinder aufziehen, wird ihnen die ebenso angenehme wie schwierige Aufgabe aufgebürdet, das Kind zum Polentum zu erziehen. "Polnische Mütter" im Ausland tragen ihr Polentum nicht nach außen, sondern versuchen jeden Tag beharrlich, ihre Kinder und spätere Teenager mit einem Lächeln davon zu überzeugen, dass "Polen und Polnisch cool ist". Oft läuft ein solches Verständnis von Polnisch auf die banale Aufgabe hinaus, einem Kind erst Polnisch beizubringen, dann das Lesen und Schreiben, und schließlich einfach das Heimatland der Eltern zu mögen. Das ist nicht einfach, denn im Ausland warten viele Verlockungen auf einen jungen Menschen, wie zum Beispiel nach der Schule mit Freunden Fußball zu spielen oder andere attraktive westliche Sprachen zu lernen. Und da serviert die Mutter, nachdem man von der deutschen Schule kommt, das Mittagessen und schickt einen auf eine weitere Schule, die man anfangs auch besucht, nur um die Eltern bei Laune zu halten. Dann lernt man allmählich seine Freunde kennen, die zu Hause auch Polnisch sprechen und sich in den Pausen gegenseitig bespaßen. Dann wird's cooler, und man will diese Sprache lernen, in der es mehr Ausnahmen als Regeln gibt, in der es ein paar seltsame "rz", "sz" und "cz" gibt und in der das "o" mit einem Bindestrich oben als "u" gelesen wird.

Ein Kind in einer polnischen Familie in Deutschland großzuziehen, ist aufgrund unseres historischen Hintergrunds viel schwieriger als in anderen Ländern. Ob wir unsere Kinder in Deutschland erziehen, ohne uns schuldig zu fühlen oder ein Leidtragender mit einer fordernden Haltung zu sein, hängt vor allem von uns "polnischen Müttern" westlich der Oder ab. Meine Großmutter ist mit meinem Vater, der damals ein paar Jahre alt war, nach dem Warschauer Aufstand auf der Flucht vor einem Transport ins Lager entkommen. Als ich ein Kind war, lebten wir in Warschau am gleichen Ort, von dem sie über die Kanalisation kamen und wo mein Großvater 1944 starb. Weder meine Großmutter noch mein Vater haben mir jemals vom Krieg erzählt oder gehässig über die Deutschen gesprochen. Die Großmutter meines Mannes war Gefangene in mehreren Lagern, überlebte einen Todesmarsch, aber sie sprach nie schlecht über die Deutschen. Im Gegenteil, als Vorkriegsbewohnerin von Łódź betonte sie immer, wie freundlich Polen, Deutsche und Juden in der Zwischenkriegszeit zusammenarbeiteten und lebten. Meine beiden Großeltern starben während des Krieges, aber ich bin nie traumatisiert zu diesem Thema zurückgekehrt. Als meine Kinder heranwuchsen, war ich besorgt darüber, wie sie die tragischen Folgen des Krieges, der unsere Nationen und Familien geteilt hatte, in ihren Köpfen verarbeiten würden. Als das Museum des Warschauer Aufstandes eröffnet wurde, nahm mein Vater meinen Sohn mit auf eine gemeinsame Tour unter Männern. Ich hatte große Angst davor, wie dieses riskante psychologische Experiment mit dem 14-jährigen, in Berlin aufgewachsenen Mateusz ausgehen würde. Im Museum des Warschauer Aufstands gibt es einen speziellen Bereich für Kinder und Jugendliche, in dem junge Volontäre erzählen, wie die Krankenschwestern jeden Verwundeten, dem sie begegneten, gerettet haben, unabhängig von der Nationalität. Sie betonen ausdrücklich, dass die Lieder des Aufstandes zur Freiheit ermutigen sollten, nicht zum Hass. Als Mateusz das Museum verließ, sagte er: "Diese Nazis waren schrecklich". Und ich atmete erleichtert auf, dass er in den Tiefen seiner deutsch-polnischen Identität einen goldenen Mittelweg gefunden hatte, der es ihm ermöglichte, in Frieden mit sich und seinen beiden Staatsbürgerschaften zu leben.

Heutzutage ist für viele "polnische Mütter" westlich der Oder der höchste und stillste Ausdruck von Patriotismus, ihrem im Ausland geborenen Kind die polnische Sprache beizubringen. Dabei muss gesagt werden, dass in den 1980er Jahren einige polnische Eltern in Deutschland, die ihre Kinder vom Kindergarten abholten, ihnen verboten, auf der Straße Polnisch zu sprechen. Meine Generation von "polnischen Müttern", die in den 1990er Jahren die erste Generation von im Ausland geborenen Kindern großzog, empfand unsere Muttersprache bereits als Bereicherung und nicht als Erschwernis der Eingewöhnung in einem neuen Land. Damals hatte noch niemand an Zweisprachigkeit gedacht. Wir mussten also versuchen, unseren Kindern intuitiv das polnische Gen einzutrichtern, so als wären sie Versuchskaninchen. Im Nachhinein denke ich, dass es am wichtigsten ist, die Sprache des Aufenthaltslandes gleichwertig mit der Muttersprache zu behandeln. Von klein auf habe ich meinen Kindern instinktiv Bücher in polnischer und deutscher Sprache gekauft, und das Wichtigste war, dass sie ständig nebeneinander in allen Regalen zu stehen kamen. Als meine Kinder heranwuchsen und begannen, die mentalen und sozialen Unterschiede zwischen Deutschen und Polen zu bemerken, riet ich ihnen, das Beste aus beiden Kulturen zu nehmen. Deshalb lieben wir es, über vier lange Winterwochen einen farbenfrohen deutschen Advent zu feiern, Glühwein zu schlürfen und den Duft von süßen Mandeln auf den Weihnachtsmärkten zu genießen. Dann tauchen wir schnell in die einzigartige Atmosphäre eines polnischen Heiligabends voller berührender Weihnachtslieder und dem Duft von Pilzsuppe mit einem Hauch von Trockenfruchtkompott ein. Meine inzwischen sehr erwachsenen Kinder wünschen sich immer zwölf traditionelle Gerichte für Heiligabend. Sie geben zu, dass man den Dezember am besten in Berlin verbringt, aber Weihnachten gibt es nur in Warschau.

Ich gehöre zu den Menschen, die nicht aus Polen auswandern wollten. Das Schicksal wollte es, dass ich, anstelle mir ein paar Jahre Zeit zu nehmen, um Erfahrungen zu sammeln, die Sprache zu lernen und Geld für eine Wohnung zu erarbeiten, jahrzehntelang zwischen zwei Hauptstädten gelebt habe. Manchmal frage ich mich - warum hat sich das Szenario meines Lebens so entwickelt, dass ich doch in Deutschland geblieben bin? Angesichts der beiden Kriege, die neben uns in der Ukraine und im Gaza-Streifen toben, denke ich, dass das Schicksal mich nach Berlin geschickt hat, um eine neue Generation von Deutsch-Polen mit Doppelpass großzuziehen, die beide Sprachen akzentfrei sprechen. Eine Generation, die sich in der Fremde fühlt, wenn sie nicht in Polen und Deutschland ist, eine Generation, die sich dem Krieg zwischen unseren Nationen strikt und kategorisch widersetzen wird.

Wir Polen sind die zweitgrößte Nation in Deutschland, gleich nach unseren türkischen Mitbürgern. Nach Schätzungen leben etwa zwei Millionen Polen in Deutschland. Mindestens die Hälfte davon sind Frauen. Deutsche Soziologen behaupten, dass wir als Nation etwas unsichtbar sind, weil wir uns so gut integrieren. Als Berlinerin, die seit mehr als dreißig Jahren in Deutschland lebt, kann ich dem nicht ganz zustimmen, wenn man bedenkt, wie viele neue polnischsprachige Clubs entstehen, wie das Sprachcafé Polnisch in Pankow, oder die jährlichen Kulturfestivals, die Massen von Polen anziehen, wie "Integration" in München oder "Klänge, die Verbinden" in Hannover. Ich denke, dass wir uns als Europäer nahtlos in Deutschland integrieren, aber wir assimilieren uns nicht, ohne unsere eigenständige polnische Identität zu verlieren. Diese drei kulturellen Veranstaltungen werden seit vielen Jahren von außergewöhnlichen Frauen organisiert - Agata Koch, Barbara Menhard und Aldona Głowacka-Silberner. Ich hoffe, dass dank dieser Frauen künftige Ausgaben von "Polnische Spuren in Deutschland" voll von Geschichten über herausragende polnische Frauen in Deutschland sein werden. Doch bevor das geschieht, möchte ich diesen Artikel all den Müttern polnischer Kinder im Ausland widmen, die zwischen ihren vielen beruflichen und familiären Verpflichtungen ihre Kinder zum Polentum geführt haben. Sie selbst betrachten dies oft als völlig normal und natürlich, genau wie das Muttersein. Die größte Belohnung für die im Ausland lebenden "polnischen Mütter" ist, wenn ihre ausländischen Kinder in Polen so wahrgenommen werden, als ob sie im Land geboren und aufgewachsen wären, weil sie sich so wunderbar polnisch fühlen und polnisch sprechen.

Agata Lewandowski

Polnische Spuren in Deutschland

Herausgegeben von: Dieter Bingen, Andrzej Kaluza, Basil Kerski, Peter Oliver Loew (Deutsches Polen-Institut); Verlag der Bundeszentrale für politische Bildung, 2018, 450 Seiten, ISBN 978-3-8389-7171-1