DEMOKRATIE TUT MANCHMAL WEH

Wie reden wir miteinander? Sehen wir bestimmte Probleme nur in schwarz – weiß Kategorien, oder lassen wir auch den grauen Farbton zu? Wie soll man in einer Konfliktsituation kommunizieren, um die aufgetretenen Probleme zu lösen? Was heißt eigentlich, objektiv einen Sachstand zu betrachten? Wann ist ein Witz kein Witz mehr, sondern eine Beleidigung? Und zum Schluss: wie unsere Herkunft die Antworten auf diese Fragen determiniert.

Mit diesen Themen haben sich Vertreter verschiedener Kulturkreise im Rahmen des Projekts „Demokratie tut manchmal weh“ analysiert. Die Reihe der Veranstaltungen wurde von dem Verein für Interkulturelle Projekte V.I.P e.V. in Braunschweig organisiert und vom Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert. Die Projektleiterin war Sophie Delest. Was dieses Projekt einzigartig und dadurch einladend zu einer Teilnahme an ihm machte, war die Kombination von Diskussionen, Kommunikationsübungen und von kreativen Formen der Umsetzung der Projektergebnisse. Sophie Delest, die seit Jahren Integrationsprojekte leitet, hat oft unkonventionelle Ideen dafür, wie man das Interesse für schwierige gesellschaftliche Themen weckt. 

Diesmal hat sie von Anfang an angesagt, dass das in Diskussionen und in Übungen erworbenes Material zur Entwicklung eines Kunstwerks dienen soll, sei es eine Collage, eine Tanzperformance oder noch eine andere Kunstform. An den Arbeiten an dem Kunstwerk, das die Projektergebnisse zusammenfassen sollte, haben Projektteilnehmer unter der Leitung von der Künstlerin Beata Cholewa - Mazurowska teilgenommen. Die dahinterstehende Idee: nach dem Projekt ein Kunstwerk in der Hand zu haben, das man in Galerien oder während verschiedener Events zeigen und dadurch die Gesellschaft auf die in ihm thematisierten Probleme hinweisen könnte. Und das Projekt zeigte, dass es vieles gibt, worauf hingewiesen werden soll. 

Eins der Themen waren verschiedene Kommunikationskulturen in verschiedener Kulturkreisen, die zu unnötigen Konflikten führen können. Einigen ausländischen Teilnehmern war es nämlich vor der Teilnahme am Projekt nicht klar, dass manchmal ihre Sprechakte eher wie Befehle und nicht wie höffliche Bitten klangen. Dies lag daran, dass in diesen Aussagen gewisse Formulierungen fehlten, auf die man in Deutschland einen großen Wert legt. Gleichzeitig haben die Übungssituationen gezeigt, dass Menschen aus dem asiatischen Raum in Konfliktsituationen, sich viel höfflicher miteinander unterhalten als dies im Fall der Projektteilnehmer aus Europa war. Delest wundern diese Ergebnisse nicht. Die Absolventin des Studiums in Professioneller Interkulturellen Kommunikation weiß, dass Asiaten in hierarchisch strukturierten Gesellschaften leben, wo das Wohl der Gruppe über eigenen Interessen steht, während in unserem Lebenskreis dem Einzelmenschen und seinem Individualismus gehuldigt wird. Ohne Kenntnisse dieser Unterschiede sind eventuelle Situationen, in denen eine der Parteien, ein Gefühl beleidigt geworden zu sein, gewinnen kann, vorprogrammiert.

Ein sehr wichtiges, allerdings beunruhigendes Erkenntnis war ein Fazit über die Überheizung einiger akuten gesellschaftlichen Diskurse. Diese Feststellung ist deswegen beunruhigend, weil sie zeigt, wie tief einige der aktuellen Themen in unseren Alltag eingreifen und unsere Gesellschaft polarisieren. Z.B. beim Thema Klimawandel wurde von einigen Projektteilnehmern berichtet, dass sie zu den Opfern eines mündlichen Angriffs wegen ihres Wohnorts in Wolfsburg, also in der Stadt von Volkswagen gewesen seien.Ansonsten konnte man während der praktischen Übungen beobachten, dass viele Menschen zwischen der sachlichen und persönlichen Kritik nicht unterscheiden können. In Workshops wurde ein großer Wert darauf gelegt, dass die Teilnehmer lernen diesen Unterschied erkennen. 

Was selten in Workshops zur Kommunikation thematisiert wird, jedoch während dieses Projekts auch unter die Lupe genommen wurde, waren Witz und Ironie im Alltag. Analysiert wurde u.a. die Frage, wie wir erkennen, dass es um eine Ironie und nicht um eine gezielte Beleidigung geht. Dazu wurden verschiedene Übungen entwickelt. Die Projektteilnehmer prüften ihre Reaktion auf ein Geschenk  eingepackt in ein Geschenkpapier mit einem Muster von lustigen Vaginas . Die Vielfalt der Perspektiven, die solch eine Situation mit sich bringt, zeigten die Diskussionen und verschiedene Übungen mit einem Situations- und Perspektivenwechsel. Man konnte u.a. prüfen, wie sich eigene Sichtweise ändert, wenn man dieses Muster  mit einem Schneeflockenmuster auf einem Aurelia Stern miteinander kombiniert. Und weiter, was passiert, wenn es erklärt wird, es gehe um einen Akt eines feministischen Ausdrucks gegen die Tabuisierung der weiblichen Geschlechtsorgane oder um ein Kunstwerk einer Künstlerin mit Behinderung.  Im Rahmen weiterer Übungen zum Thema Witz und Ironie versuchte man noch während der Workshops auch u.a. die Frage zu beantworten, ob die Nutzung einer Tasse mit der Inschrift „F…kt dich“ oder einer Schminke in Form eines Penis von unseren Arbeitskollegen uns wirklich empören soll, wenn diese Produkte im Handel angeboten werden. 

Das Projekt von Sophie Delest zeigte, wie nötig Workshops dieser Art sind. Sie sollen regelmäßig, in einem größeren Ausmaß an größere Gruppen angeboten werden. Bevor es jedoch dazu kommt, hinterlassen wir hier als eine kleine Hilfe ein paar Tipps zu einer gewaltfreien, nachhaltigen Kommunikation:

  1. Möglichst neutral an das Problem rangehen
  2. Eigene Motive verstehen
  3. Versuchen, Perspektiven der Gesprächspartner zu verstehen
  4. Lernen sachliche Kritik von persönlich bezogenen Aussagen voneinander zu unterscheiden (z.B. Kritik der schlecht ausgeführten Arbeit bedeutet nicht gleich eine Kritik meiner Person, sondern nur dass die gegebene Aufgabe nicht richtig erfüllt wurde) 
  5. Über die Kritik ohne Empörung nachzudenken und weiter siehe Punkt 2

Das Ziel der gewaltfreien Kommunikation ist doch nicht, Menschen zu eigener Meinung als zu der einzigen richtigen Stellungnahme zu überzeugen. Die nachhaltige, auf einem gegenseitigen Respekt basierende Kommunikation verzichtet auf die Täter-Opfer-Perspektive sowie auf das Schuldprinzip. Daran sollen wir immer denken.

Autor: Projektteilnehmer

Fotos: R.Strzolka (auf dem Foto Sophie Delest)