Werden wir noch gemeinsam rudern? - von Adrianna Tomczak

Es scheint, dass wir mit dem enormen technologischen Fortschritt in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Verkehr begonnen haben zu glauben, dass wir gegen alle Bedrohungen und unvorhersehbaren Ereignisse geschützt sind. All diese Überzeugungen zerfallen nun allmählich und unausweichlich. Was haben wir entfernt oder verdrängt, und was kommt in Zeiten von Epidemien mit all dem Schrecken zurück? Womit müssen wir uns heute befassen? Werden wir noch gemeinsam rudern?

Zweimal im Jahr zirkuliert in den sozialen Medien eine Welle von Fotos all derer, die per Flugzeug, Auto oder Zug nach Polen reisen. Dies ist die Zeit vor Weihnachten und Ostern. Dieser Frühling war anders. Diesmal mussten wir zu Hause bleiben und die Ferien fern von unserer Familie in Polen verbringen. Für viele von uns war es eine schwierige Zeit.

Wir haben uns an die Freiheit gewöhnt, uns frei zu bewegen, zu reisen, zu arbeiten, Zeit nach unserem Willen zu verbringen. Heute ist das anders.

Unternehmen mussten ihre Aktivitäten einstellen oder an das Netzwerk übertragen, und nicht immer - und nicht alle, auf solch einen solchen Schritt vorbereitet waren. Kinder und Jugendliche bleiben seit mehreren Wochen zu Hause, gelernt wird übers Internet, von zu Hause. Das Gesundheitswesen steht vor einer enormen Herausforderung. Nervosität ist in unser Leben eingedrängt. Tag für Tag veranlassten aufeinander folgende Ereignisse die Regierungen, Entscheidungen zu treffen und uns weitere Einschränkungen aufzuerlegen.

Das Virus traf Kultur und Kunst, Gastronomie, Tourismus, Gastgewerbe, Ausbildungs- und Veranstaltungsunternehmen, Saisonarbeiter und das gesamte System des zusammenhängenden Gewebes. Sie ist in Kirchen eingebrochen. Die Fotos von Papst Franziskus, der auf dem leeren Petersplatz betete, werden in die Geschichte eingehen, genau wie seine Worte, die zum gemeinsamen Rudern in einem tobenden Sturm aufriefen.

Solidarität in Zeiten einer Pandemie   

Natürlich hat sich für viele nichts geändert, denn was auch immer geschieht, wird es viele so wie so nicht zu tieferem Nachdenken veranlassen.

Einige Menschen betrachteten diese Zeit als eine Gelegenheit, innezuhalten, in sich selbst zu schauen. Einsamkeit und Isolation sind für manch eine gut. Einige haben sich jedoch stärker als je zuvor anderen Menschen zugewandt und damit Altruismus, Solidarität und Verantwortung für andere geweckt. Es wurden Selbsthilfegruppen gebildet, Aktionen der gegenseitigen Unterstützung.

Gastwirte, die trotz ihrer eigenen schwierigen Situation die Krankenhäuser in kostenlose Mahlzeiten beliefern.

In den Treppenhäusern hängen Listen mit Angeboten für selbstlose Hilfe beim Einkaufen oder bei anderen „kleinen Dingen, Beschaffungen“.  Wohnungseigentümer stellen ihre Räumlichkeiten kostenlos denjenigen zur Verfügung, die die Möglichkeit verloren haben, von Geschäftsreisen nach Hause zurückzukehren. Auf den Balkonen kann man Musik und Gesang hören, um andere während der Quarantäne aufzumuntern.

Es besteht jedoch kein Zweifel, dass sich unsere Realität dramatisch verändert hat und ins Netzt verlagert wurde.

Menschliche Zerbrechlichkeit angesichts des Wandels

Was geschieht, ist aufbauend. Wir haben mit großer Macht erfahren, wie sich die Handlungen Einzelner auf das Leben vieler Menschen auswirken. Aber die Frage wird immer lauter und lauter, wie lange werden wir gemeinsam paddeln?

Wird das Coronavirus unsere Mentalität ändern, uns vom Konsumdenken wegbewegen, uns sensibler machen und uns gegenseitigen Respekt lehren?

Wir stehen vor Veränderungen, vor einer Zeit der Unsicherheit und der lernenden Demut. Geert Noels schrieb in seinem Buch "Gigantisme", dass unsere Zukunft kleiner, langsamer und menschlicher sein wird. Wir stehen vor Entscheidungen, vielleicht vor einigen der schwierigsten. Lasst uns diese Entscheidungen weise treffen

Dr. Adriana Tomczak

Trainerin, Bloggerin, Spezialistin für social Media, Expert Info-Point-Polregio

Fotos: Image by Pixabay