Berlin seit über 30 Jahren - Agata Lewandowski

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Die 1980er Jahre

Als ich vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal nach Berlin kam, war die polnische Kirche in Tempelhof der wichtigste Treffpunkt für Polen, und das Schwarze Brett an der Kirchenwand diente als Immobilien- und Arbeitsvermittlung für polnischsprachige Landsleute. In Berlin herrschte damals die gesetzlich vorgeschriebene Atmosphäre einer "freien Stadt", in der man auf der Straße Vertretern der alliierten Streitkräfte begegnen konnte, was den bunten Charakter der Stadt bereicherte und ihre Einzigartigkeit unterstrich.  Polnisch war auf den Straßen kaum zu hören. Die Auswanderungswelle des Kreigsrechts 1981 hatte sich bereits im von einer Mauer umgebenen West-Berlin niedergeschlagen, wo illegale polnische Gastarbeiter versuchten, einzureisen und in einem Monat so viel zu verdienen, wie sie im sozialistischen Polen mehrere Jahre lang hätten arbeiten müssen. Der Fall der Berliner Mauer '89 belebte den nicht immer offiziellen Zustrom von Polen nach Berlin, die auf dem behelfsmäßigen Polenmarkt am Potsdamerplatz für Deutsche attraktive Billigwaren absetzten und dann in der "Gaunerstraße" - wie sie die Kantstraße einprägsam nannten - die billigsten technischen Geräte kauften. Die größte polnische Kultureinrichtung in Deutschland war damals das postsozialistische Polnische Kulturinstitut am Alexanderplatz, das gerne mit polnischen Emigranten als Multiplikatoren für seine deutschen Besucher zusammenarbeitete. Es wurde errechnet, dass damals ein Pole durchschnittlich drei Deutsche zu einer polnischen Kulturveranstaltung mitbrachte, was die beste und billigste Werbemethode war. In den frühen 1990er Jahren waren wir Polen in dem multinationalen Meer von Ausländern, die zum Wiederaufbau des Nachkriegsdeutschlands nach Berlin gekommen waren, verloren.

Die 1990er Jahre

Durch den massiven Zuzug polnischer Landsleute nach Deutschland kristallisierte sich in der polnischen Gemeinde in Berlin ein zunehmendes Bedürfnis nach Kultur und Bildung heraus. Seit der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages im Jahr 1991 gibt es nicht nur in den deutschen Behörden und Institutionen grünes Licht für die in Deutschland lebenden Polen, sondern auch in der gesellschaftlichen Mentalität. Wir begannen, die noch immer entzündeten historischen Wunden der Nachkriegszeit zu heilen, negative Stereotypen abzubauen und das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen.

In Berlin ist eine neue Generation von neugeborenen Berlinern mit polnischen Wurzeln aufgetaucht. Während ich in den 1980er Jahren dem Phänomen begegnete, dass den Kindern von Vertriebenen in Deutschland verboten wurde, Polnisch zu sprechen, waren sich die polnischsprachigen Eltern der in den 1990er Jahren geborenen Kinder bereits der Notwendigkeit bewusst, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen. Dank des großen Engagements polnischer Pädagogen wie Małgorzata Tuszyńska, Genowefa Kmita und Dr. Ruth Garstka wurden die ersten polnisch-deutschen Europaschulen in Deutschland gegründet.  In der Robert-Jungk-Oberschule in Charlottenburg arbeiten polnische Lehrer wie Agnieszka Bernegg und Mariusz Łagodziński nicht nur professionell, sondern auch mit ganzem Herzen mit polnischen Jugendlichen.

In den 1990er Jahren entstand aus unseren privaten polnischen Café-Treffen der erste polnische Frauenstammtisch, dessen Gründerinnen Lucyna Królikowska, Katarzyna Langewitsch, Agata Lewandowski und Alina Winiarski waren und dessen Treffpunkt von Marta Cofta in der angenehmen Atmosphäre des Möbelhauses VOX zur Verfügung gestellt wurde. Heute sind die Aktivitäten dieses ersten feministischen polnischen Vereins in Berlin, der sich in POLin Polnische Frauen in Wirtschaft und Kultur e.V. verwandelt wurde, mit großem Erfolg von Celina Muza entwickelt. Seit 1995 wird das Leben der polnischen Gemeinde in Berlin jeden Monat durch Kontakty gestärkt, das früher von Maja und Andrzej Klon geleitet wurde und nun langsam von der jüngeren Generation, den Geschwistern Izabela und Tomasz Klon, übernommen wird. Als deutsche Polonia fehlt es uns immer noch an einer besseren Medienpräsenz, aber seit mehr als zwanzig Jahren haben wir einen polnischsprachigen Redakteur, Jacek Tyblewski, im deutschen öffentlich-rechtlichen Radio Cosmo. Außerdem gibt es im RBB die deutsch-polnische Fernsehsendung Kowalski trifft Schmidt, in der interessante deutsch-polnische Persönlichkeiten vorgestellt werden. Beim deutschen Kulturministerium wurde ein spezieller polnisch-deutscher Fonds eingerichtet, aus dem jedes Jahr die wichtigsten polnischen Projekte in Deutschland finanziert werden. Es ist unmöglich, alle polnischen Gemeinschaftseinrichtungen oder kulturellen Aktivitäten aufzuzählen, die dank des Vertrags über die gute Nachbarschaft verwirklicht wurden, aber eine der wichtigsten ist sicherlich die Eröffnung des Polonia Büros in Berlin im Jahr 2021, das vom deutschen Bundesministerium des Innern finanziert wird.

Vielleicht wäre es für jeden von uns "polnischen Berlinern" lohnenswert, einen privaten Blick 30 Jahre zurückzuwerfen und darüber nachzudenken, was sich durch den deutsch-polnischen Vertrag in unserem Leben verändert hat? In meinem Privatleben gab es viele "Nachvertragserfolge".

Meine Tochter Zuzanna legte das erste polnische Abitur an der deutschen Oberschule nach dem Krieg ab und absolvierte das Studium der interkulturellen Germanistik an der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder). Dank der Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit, die seit 30 Jahren die Hauptträgerin des deutsch-polnischen Kulturaustauschs ist, habe ich den Film "Kinder der Migration" gedreht, der die Geschichte der Identität junger polnischer Berliner erzählt, und ich habe mehrere interessante Projekte organisiert, die unsere Gesellschaften verbinden.

Das 21. Jahrhundert?

Beruflich freue ich mich, dass in Berlin neue polnische Frauenorganisationen entstehen, das sich stimmungsvolle Clubs wie das Sprachcafe Polnisch von Agata Koch etablieren und vor allem bin ich als Polin stolz darauf, dass Katarzyna Niewiedzial Beauftragte des Berliner Senats für Integration und Migration ist. Es wäre schon, wenn sich die jüngeren Generationen, daran zu erinnern, dass es ohne unsere bescheidene, jahrzehntelange Arbeit an der Basis zur Stärkung der Position der Polen in Deutschland heute keine deutsch-polnischen Entwicklungsmöglichkeiten gäbe. Der deutsche Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff entlässt das Publikum in der letzten Szene seines Films "Strike - Heldin aus Danzig" mit dem Appell von Anna Walentynowicz, die am Meer spazieren geht: "Wir haben unsere Freiheit gewonnen, und die nächsten Generationen müssen sich weiter darum kümmern" (Paraphrase). Leider sind viele unserer deutsch-polnischen interkulturellen Errungenschaften in letzter Zeit zerstört worden, so dass uns nichts anderes übrig bleibt, als sie wieder aufzubauen und neue Brücken zwischen Oder und Weichsel zu schlagen.

Text und Übersetzung Agata Lewandowski